Der Architekt Peter Ruge spricht über seine innovativen Entwürfe für ein Passivhaus und einen Fabrikumbau in Hangzhou. Peter Ruge arbeitete seit 1993 als Architekt in Deutschland, bevor er ab 2005 in China tätig wurde. In seinen Entwürfen bezieht er sich auf die lokale Identität und setzt sich für Nachhaltigkeit in der Architektur ein. Momentan arbeiten er und sein an der Umnutzung einer alten Maschinenfabrik und an einem Passivhaus in Hangzhou als Pilot- und Modellprojekt für einen chinesischen Investor.
Wie kam es zu Ihrem Engagement in China?
Durch die enge Freundschaft mit einem chinesischen Künstler, der in Berlin studiert hat. Nach Ende seines Studiums ging er zurück nach China und rief mich eines Tages an: „Peter, was soll ich machen, wir müssen 2500 Wohnungen planen!“ So haben wir uns zu unserem ersten Projekt in China zusammengefunden.
Was ist das Besondere an Ihrem aktuellen Projekt, einer Fabrikumnutzung in Hangzhou?
Als Herzstück des Umbaus einer ehemaligen Maschinenfabrik möchte der Bauherr die Geschichte und Atmosphäre einzelner Gebäudeteile erhalten. Hierfür beauftragte er drei international tätige Architekturbüros, die jeweils eine Halle einer neuen Nutzung zuführen sollten. Im Falle des Gebäudes INH, welches durch uns gestaltet wird, werden vornehmlich Büros, Einzelhandel und ein Hotel entstehen. Bemerkenswert ist natürlich, dass die gesamte Fläche sehr schnell realisiert werden soll. Es gab strenge zeitliche Vorgaben. Unser Entwurf sieht vor, die zentrale Halle in ihrer Anmutung und Größe zu erhalten und diese durch neue Elemente zu kontrastieren.
Wie kam der Auftrag zustande?
Der Investor hat die Architekten direkt ohne Wettbewerb beauftragt. Das geschieht in China selten, doch sie sind auf unser Büro in Hangzhou durch bisherige Projekte aufmerksam geworden.
Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit dem Investor?
Wir haben drei Konzepte mit unterschiedlichen Herangehensweisen erarbeitet, wie man die neuen Baumassen in den Bestand integrieren kann. Chinesische Bauherren wählen gerne aus. Wir selbst denken auch gern zunächst in verschiedene Richtungen um Ansätze zu finden. In diesem Fall haben wir so lange gearbeitet, bis alle zufrieden waren.
Neben dem Umnutzungsprojekt arbeiten Sie gerade an Plänen zu einem der ersten Passivhäuser in China. Worin besteht das spezifische Interesse des Investors an einem Passivhaus?
Der chinesische Investor hat uns ausgesucht, da wir Erfahrung mit nachhaltigem Bauen in China haben. Es ist ein Pilot- und Modellprojekt mit einer Mischung aus Musterhaus, Wohnheim und exemplarischem Wohnbereich, in dem potentielle Kunden probewohnen können. Es ist Bestandteil eines firmeneigenen Campus, auf dem der Investor Energieeinsparmöglichkeiten testet. Der Investor erhofft sich damit einen Vorsprung auf dem Markt, da Nebenkosten eine zunehmende Rolle für die Kaufentscheidung der Endkunden spielen.
Wird das Passivhaus schon gebaut?
Nein, wir sind momentan in der Phase der Detailplanung. Jedes Detail ist wichtig beim Passivhaus, vor allem die Übergänge zwischen Innen und Außen. Wir verwenden Materialien, die nicht nur den deutschen sondern auch den chinesischen Vorschriften entsprechen. Die chinesischen Vorschriften sind an manchen Stellen sogar strenger als die deutschen, z. B. was die Entflammbarkeit von Fassaden- und Dachmaterialien betrifft.
Der Investor hat eine eigene Bauabteilung, die die Pläne umsetzt, wir unterstützen bei der Bauausführung mit „Training on the Job“. Denn was nutzt ein 20 cm dicker, warmer „Pullover“, der zur Wärmedämmung „angezogen“ wird, der überall Löcher hat? Jede Folie muss vor Ort an der richtigen Stelle sitzen und fachgerecht verarbeitet sein. Das ist Hightech in der Fassade, unterstützt durch optimierte Gebäudetechnik.
Wie gehen Sie in Ihren Planungen darauf ein, dass noch wenig Erfahrung in dieser Art von Gebäuden besteht?
Wir vermeiden aufgrund unserer bisherigen Erfahrung in China in der Planung Details, bei denen Ausführungsfehler entstehen könnten. Bei zwei Konstruktionen zur Auswahl wählen wir die einfachere. Wenn man den Anspruch hat, 95% der Heizenergie einzusparen, muss das Konzept vor Ort umsetzbar sein.
Berücksichtigen Sie auch den noch ungeübten Bewohner, der mit „Hightech“ korrekt umgehen können muss, um wirklich Energie einzusparen?
Wir planen standardisierte Wohnungen mit drei Zimmern, Küche, Diele und Bad als Musterwohnungen. Interessenten können dort probewohnen. Sie lernen, mit der Technik umzugehen, und durch die Erfahrungen der Nutzer können wir die weitere Entwicklung verbessern. Hierzu bereiten wir ein spezifisches Monitoringsystem vor. In Deutschland haben wir hierzu bereits Erfahrungen mit iPad-Applikationen, die anzeigen, welches Licht an ist und welche Energie gerade verbraucht wird.
Ist das ökologische Bauen in China nur eine Modeerscheinung?
Das würde ich nicht sagen. 2006 war beim ersten Stadtplanungsprojekt in Mianyang, Sichuan Nachhaltigkeit ein Fremdwort. Es hat niemanden interessiert. Vor sechs Jahren hat unser Bauherr zwei Zentimeter Wärmedämmung gefordert. Jetzt sind wir eine Zehnerpotenz höher. Es gibt natürlich mittlerweile Vorschriften, Wärmedämmung einzusetzen. Darüber hinaus wollen kluge Bauherren eine Vorreiterrolle spielen. Natürlich sind die ersten Zentimeter am wirksamsten bezogen auf die Energie, die man braucht, um die Dämmmaterialien herzustellen und die Energie, die man am Haus einspart.
Wie definieren Sie das Innovative an Ihren Konzepten?
In unserer Konzeption spielt die lokale Kultur und Identität eine große Rolle. Ein Gebäude, welches wir in China bauen, sieht anders aus als eines hier in Berlin. Das ist unsere Doktrin. Wir haben somit die Chance, uns der chinesische Kultur zu öffnen und in unsere Planung zu integrieren.
Wir sind deutsche Architekten, die in China arbeiten, die ernst nehmen, was vorhanden ist, welche Vorgaben wir bekommen und was wir erreichen möchten: Nachhaltigkeit. Hier sehen wir unsere Chance, uns verantwortungsvoll weiter zu entwickeln.
Ist China ein großes Experimentierfeld für das Bauen?
Ich würde genau das Gegenteil sagen! Aus den Gesprächen habe ich mitgenommen, dass die Chinesen nicht als Testfeld für etwas dienen wollen, was in Europa nicht verwirklicht werden kann. Entscheidungsprozesse sind viel schneller als in Berlin. China ist kein Labor, in dem jeder kommen und machen kann, was er will. Wer dieser Auffassung ist, hat nicht begriffen, welchen Herausforderungen sich China stellt.
Text/Interview: Tanja Reith
Sinologin und Fotografin, Berlin
März 2012
Dieser Text erschien zunächst im Deutsch-Chinesischen Kulturnetz, einer Kooperation des Goethe-Instituts mit der Robert-Bosch-Stiftung.