Creative Cities in China und Deutschland: Shanghai und Berlin im Vergleich

Shanghai wie Berlin nutzen die Kreativindustrie als Motor der Stadtentwicklung, wenn auch mit unterschiedlichen Konzepten

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Ausstellung „Farbwerte“ im Rahmen des Neujahrsempfangs der Netzwerke der Berliner Kreativwirtschaft, Foto Peter Ruschel

„City of Design“ – dieser Titel wurde Shanghai im Februar 2010 von der UNESCO verliehen. Er markiert den Aufstieg dieser Stadt mit ihrer reichen Geschichte als „Perle des Orients“ in den Rang der internationalen Creative Cities. Am anderen Ende des Kontinents erhielt Berlin diese ehrenvolle Auszeichnung. Berlin und Shanghai haben unabhängig voneinander die Gunst der Stunde erkannt und für sich dasselbe Zukunftspotential entdeckt: die Nutzung künstlerischer Kreativität. Sie entwickeln sich dabei allerdings in sehr verschiedenen Kulturen, mit unterschiedlichen Entstehungsgeschichten und Entwicklungsprozessen.

Wege und Räume der Kreativität

Obwohl der rasante Aufschwung der Kreativwirtschaft (Creative Industries) sowohl in Berlin als auch in Shanghai in den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts begann, waren dafür völlig verschiedene historische Gegebenheiten förderlich. Berlins Kreativwirtschaft profitierte von der Vereinigung Ost- und West-Berlins im Jahr 1990. Die Stadt wurde wieder zur deutschen Hauptstadt, und es waren die Narben der früheren Teilung, die zum Boden für die Entwicklung der Kreativwirtschaft wurden. Es ist das Gebiet, wo Ost- und West-Berlin aufeinandertreffen, welches die höchste Konzentration von Creative Industries besitzt und ein kreatives Cluster bildet: im Zentrum der Bezirk Mitte, im Norden Prenzlauer Berg, im Süden Kreuzberg, also Berlins östliche Innenstadt. In diesen Bezirken konnten Künstler nicht nur preiswerte Wohn- und Arbeitsräume im ehemaligen Kerngebiet der Stadt bekommen sondern auch von der kulturellen Vielfalt des Zentrums und den alten Bauwerken mit ihrer Ausstrahlung historischen Wandels profitieren und diese als Material- und Inspirationsquelle für ihre eigenen Werke nutzen. Diese einmaligen Ressourcen und die historische Gunst der Stunde haben zahlreiche Künstler und Kreativunternehmen aus aller Welt bewogen, sich in der Stadt anzusiedeln. Berlin wurde dadurch eine wahrhaft internationale Metropole der Kreativität.

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Filmvorführung und Happening in Friedrichshain, Berlin, Foto: Tanja Reith

Genau wie in Berlin bekam auch die Kreativwirtschaft in Shanghai ihre historische Entwicklungschance in den letzten zwanzig Jahren. Im Zuge der nationalen Reform- und Öffnungspolitik und der erfolgreichen Erschließung der Shanghaier Wirtschaftszone Pudong konnte Shanghai mit den Vorzügen einer internationalen Großstadt eine große Zahl von ausländischen Kreativunternehmen und Konsumenten kreativer Produkte anziehen. Doch während in Berlin billige Lebenshaltungskosten und ein lebendiges kreatives Milieu ausschlaggebend waren, lag die Entscheidung für Shanghai für die Kreativunternehmen viel stärker im riesigen chinesischen Binnenmarkt begründet. Die Künstler wiederum zielten vor allem auf die nach Shanghai strömenden ausländischen Touristen und Kunstsammler. Der Shanghaier Maler Liu Weiguang wird mit den Worten zitiert: „Neunzig Prozent meiner Werke werden von Ausländern gesammelt.“

Kreative Cluster entstanden in Shanghai zunächst genau wie in Berlin, indem sich Künstler in Eigeninitiative billige alte Gebäude und Fabriken als Ateliers wählten, so dass mit der wachsenden Zahl derer, die sich hier versammelten, ein solches Gebiet dann ganz von selbst zum kreativen Raum wurde, wie etwa Tianzifang, M50 oder Laomatou, wo sich viele bekannte Galerien konzentrieren.

Doch im Vergleich mit dem kreativen Raum in Berlin und dessen Wiedernutzung von wilhelminischen Gebäuden begann die Kreativwirtschaft in Shanghai erst sehr viel später mit der Nutzung und Erhaltung der Shikumen (der alten für Shanghai typischen Wohnhausarchitektur , Anm. d. Übers.). Dann aber erregte dieses Phänomen in Shanghai sehr schnell die Aufmerksamkeit der Regierung und der Immobilienmakler. Mit Blick auf die wirtschaftliche und städtische Erneuerung begann die Stadtregierung, dieses Modell zu fördern und zu kopieren, indem sie Gebieten dieser Art den Titel „Creative Industry Park“ verlieh und das Gelände dann zur Modernisierung an die Immobilienfirmen übergab. Nur Firmen, die zum Projekt Kreativwirtschaft passen, können den Einzug in einen solchen Kreativwirtschaftsdistrikt beantragen, wo sie in den Genuss von verbilligten Mieten und Steuervergünstigungen kommen.

Dieses Konzept ist in Berlin unbekannt. Zwar mögen auch hier Kreativschaffende in einigen Teilen der Stadt von speziellen Förderungen und Steuervergünstigungen der Regierung profitieren, doch die Berliner Regierung war noch nie so großzügig, einem Gebiet diesen Ehrentitel zu verleihen. In Shanghai sind die Creative Industry Parks fast schon im Überfluss geschaffen worden. Es gibt inzwischen mehr als achtzig davon, die sich zum Großteil auf die Bezirke in Shanghais Innenstadt verteilen, wie Xuhui, Jing’an und Changning.

Obwohl Shanghai in Bezug auf Bruttoproduktionswert und Wachstumsrate seiner Kreativwirtschaft Berlin bereits überholt hat, liegt es im Vergleich von Pro-Kopf Output und Qualität noch weit hinter Berlin zurück. Eine wichtige Bedingung für die Entwicklung von Kreativwirtschaft ist der Grad der Offenheit und Internationalität einer Stadt, und hier hat Berlin einen klaren Vorsprung. Denn jede sechste Person in Berlin ist Ausländer, wobei die Zahl in den zentralen Stadtbezirken, wo sich die Kreativschaffenden konzentrieren, noch um einiges höher ist. In Shanghai machen die Ausländer noch nicht einmal 1% der Bevölkerung aus. Berlin spielt außerdem eine Vorreiterrolle in zeitgenössischer Kunst und Musik und ist der Ursprungsort von vielerlei neuer Kunst. Shanghai hingegen ist international gesehen immer noch in der Rolle des Aufholenden, dem es noch einem Recht auf eigenen kreativen Ausdruck mangelt.

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Gasse in Tianzifang, Shanghai, Foto: He Liu

Gewiss hat das Entwicklungsmodell der Creative Industry Parks in Shanghai in kurzer Zeit eine große Zahl von Personen und Firmen aus künstlerischen Berufen und Branchen dazu angeregt, sich an einem Ort konzentriert niederlassen. Doch das geschah nicht aus deren eigener Initiative und hat einen Beigeschmack von Passivität. Außerdem waren die Creative Industry Parks zu Beginn zwar wirklich von Nutzen für die Entwicklung der Künstler, doch mit dem zunehmenden Erfolg dieser Distrikte vergessen die Immobilienmakler oft, wem dieser Erfolg zu verdanken ist. Die Aussicht auf höhere Gewinne führt dazu, dass sie auch solchen Firmen die Niederlassung erlauben, die nur wegen der bekannten Adresse kommen. Das führt zu ständig steigenden Mieten, zur Kommerzialisierung der Creative Industry Parks und zur Vertreibung der eigentlichen Hausherren, der Künstler. Dieser Prozess spielt sich gerade in Tianzifang ab, wo jedes Jahr Dutzende Künstler wegen der Mieten das Weite suchen, so dass ihre dortige „Überlebenschance“ bei nicht einmal 10% liegt.

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Galerien-Cluster, Tianzifang, Shanghai, Foto: He Liu

Berlins Kreativgebiete sehen sich vor ein anderes Problem gestellt. Die Ansiedlung der Künstler führt oft dazu, dass die ansässigen Bürger mit einer Gentrifizierung konfrontiert werden. Doch auch wenn die Künstler zu einem Ortswechsel gezwungen werden, hat das nicht so schlimme Auswirkungen für sie, weil sie die Vergünstigungen und Vorteile von Seiten der Regierung dadurch nicht automatisch verlieren.

Außerdem besitzen eigendynamisch entstandene Kreativräume in Berlin häufig ein gewachsenes soziales Netz, das die Arbeitsräume der Künstler aufs Engste mit ihrer Umgebung und ihren Bars und Straßen verbindet. Dagegen gleichen die Creative Industry Parks in Shanghai eher Inseln, die nur äußerst dürftig an ihre Umgebung angebunden sind und wo die Firmen und Kreativschaffenden untereinander oft auch keinen Kontakt haben – ungünstige Faktoren für die Entwicklung kreativer Räume.

Shanghai und Berlin – beide sind aufstrebende kreative Metropolen, allerdings mit Unterschieden in den Entwicklungswegen, den Kulturen und den ordnungspolitischen Absichten. Diese Unterschiede verlieren aber an Bedeutung, wenn beide Seiten voneinander lernen und ihre jeweilige Situation dadurch verbessern.

Text: He Liu, Doktorand an der Abteilung Anthropogeographie des Geographischen Instituts der Universität Heidelberg, März 2011, Übersetzung: Elke Rohmer

Links:

Creative City Berlin: http://www.creative-city-berlin.de/

Create Berlin: http://www.create-berlin.de/

City of Design, Shanghai China: http://www.creativecity.sh.cn/index.aspx

CreativeHunt Shanghai: http://www.creativehunt.com/shanghai